Bild 1: Erich Heckel beim Zeichnen in Hemmenhofen, 50er Jahre (Foto)
Den Maler Erich Heckel, 1883 in Döbeln bei Chemnitz geboren und 1970 in Radolfzell gestorben, gehört zu den bekanntesten Künstlern der Bodenseeregion. Leben und Werk dieses Malers will ich Ihnen hier nicht in Gänze vorstellen. Der Fokus meiner Betrachtung soll vielmehr auf seinen Schaffensjahren am Bodensee liegen. Am Untersee auf der Halbinsel Höri fand Heckel ab 1944 eine zweite Heimat; hier schuf er im Verlauf von knapp drei Jahrzehnten den weitaus größten Teil seines umfangreichen Spätwerkes. Person und Schaffen von Erich Heckel sind seither untrennbar verbunden mit der Kunst- und Kulturgeschichte des 20. Jahrhunderts in unserer Region.
Bild 2: „Atelierszene“, 1911
Einen festen Platz in der deutschen Kunst behauptet Heckel vor allem durch sein Wirken als Mitbegründer der Künstlergruppe „Brücke“, die sich in Dresden ab 1905 ganz neue Wege des bildnerischen Ausdrucks erobert hatte. Zusammen mit Ernst Ludwig Kirchner und Karl Schmidt-Rottluff gehörte Heckel fortan zu den führenden Hauptvertretern des Expressionismus und zur Avantgarde der Moderne in Deutschland. Bekannt und berühmt, vielbeachtet und oft bewundert, sind jene Werke, die Heckel als treibende Kraft der expressionistischen Bewegung vor und kurz nach dem Ersten Weltkrieg schuf. Wie bei den übrigen Weggefährten der „Brücke“ jedoch, so gehören auch im Falle Heckels die nachfolgenden, immerhin rund 60 Schaffensjahre zu den weniger beachteten, oftmals gar unterschätzten Werkphasen. Dies gilt insbesondere für die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg, als Heckel nach der Zerstörung seines Ateliers in Berlin am Untersee in Hemmenhofen durch ein Wiederanknüpfen an das zuvor Geschaffene einen künstlerischen Neuanfang suchte, während in den Großstädten die Abstraktion zur herrschenden Kunstrichtung avancierte. Dieses gereifte Oeuvre der 40er bis 60er Jahre soll den Schwerpunkt meines Vortrages bilden. Doch blicken wir zunächst einige Jahre zurück, denn Heckel kannte die Landschaft am Bodensee schon vor seiner Übersiedlung von mehreren Besuchen.
Bild 3: „Gläserner Tag“, 1913
„Alles ist noch weicher und malerischer als die Förde“. Mit diesen Worten schilderte Erich Heckel seine Eindrücke vom ersten Aufenthalt am Bodensee im September 1920 in einem Brief aus Konstanz an seine Frau Siddi nach Berlin. In der kurzen Passage verglich er die neuentdeckte Bodenseelandschaft mit der vertrauten Natur an der Flensburger Förde, wo Heckel in Osterholz seit 1919 und bis weit in die 30er Jahre hinein sein festes Sommerdomizil hatte. Das Gemälde „Gläserner Tag“ von 1913, das zu den Hauptwerken des deutschen Expressionismus zählt und das die Situation an der Steilküste bei Osterholz einfängt, erzählt exemplarisch von Heckels Faszination für unberührte Naturgegenden am Wasser und kündet mit seiner kristallinen Expressivität von der ausgeprägten Vorliebe des Malers zur harmonischen Einbindung des Menschen in ursprüngliche und lichthaltige, weite und offene Naturräume.
Bild 4: „Am Bodensee (bei Lindau)“, 1920 (Aquarell)
All diese Elemente fand Heckel bei seiner Reise nach Süddeutschland, die ihn im Spätsommer 1920 über Tübingen an den Bodensee führte. Erfüllt von Licht, Luft und Atmosphäre und mit lebhaftem Pinselgestus präsentiert er uns den Blick über die Bregenzer Bucht bei Lindau in dem Aquarell „Am Bodensee“. Die impulsive Vitalität der Bildsprache, die Spontaneität der Beobachtung und die Unmittelbarkeit der Umsetzung, atmen noch den Geist der frühen Brücke-Jahre in Dresden und Berlin.
Bild 5: „Konstanz“, 1928
Im Verlauf der 20er Jahre vollzog sich in Heckels Stil eine zunehmende Beruhigung, verbunden mit einer wirklichkeitsorientierten Verfestigung der Formen und einer Harmonisierung der Farbkontraste. Bei einem neuerlichen Besuch am Bodensee hielt Heckel 1928 die Kulisse von Konstanz fest und es zeigt sich, daß neusachliche Einflüsse nicht ohne Wirkung auf seine Malerei blieben. Die Konstanzer Vedute gehört zur Serie der Städtebilder, die Heckel in den 20er Jahren während zahlreicher Reisen durch ganz Europa anfertigte und sie offenbart typische Merkmale, die auch die späteren Landschaften vom Bodensee kennzeichnen sollen: eine weiträumig ausgedehnte Komposition, die das Große und Ganze in einer panoramaartigen Überblicksschau einfängt, dabei aber strukturelle Eigenschaften einer beobachteten Situation, das Verhältnis der Einzelteile zum Gesamten, nicht außer acht lässt.
Bild 6: „Beim Vorlesen“, 1914 (Holzschnitt)
Auf der im Frühjahr 1936 unternommenen Fahrt nach Rom und Sizilien, die den Schlußpunkt von Heckels Fernreisen durch Europa markierte, machte er erstmals auf der Höri am Untersee Station. Den Anlass dazu lieferte der Kunsthistoriker Walter Kaesbach, der nach seiner Entlassung aus dem Amt des Direktors der Düsseldorfer Kunstakademie seit 1933 in Hemmenhofen lebte. Der Kontakt zu Kaesbach, mit dem Heckel seit den gemeinsamen Berliner Tagen 1912 eng befreundet war, sollte dann ab 1944 zu einem wichtigen Dreh- und Angelpunkt im Lebensumfeld des Malers auf der Höri werden.
Bild 7: „Am Untersee“, 1936
Unter dem Eindruck der abgeschiedenen, stillen Landschaft am Bodensee schuf Heckel 1936 das Gemälde „Am Untersee“, das den Blick über die Wasserfläche auf das gegenüberliegende Schweizerische Ufer mit der Erhebung des Thurgauer Seerückens im milden Abendlicht festhält: eine Sicht, die zu einer Art Schlüsselmotiv im landschaftlichen Schaffen der 40er bis 60er Jahre avancieren sollte.
Bild 8: „Landschaft an der Förde“, 1939
Unter den Nationalsozialisten wird Heckel 1937 als „entarteter“ Künstler diffamiert, seine Werke in der Ausstellung „Entartete Kunst“ verfemt, er erhält Ausstellungsverbot (aber kein Malverbot) und seine Person und Kunst werden so ins Abseits gedrängt. Für die Künstler der Moderne beginnt in Deutschland nun die dunkelste Stunde. Über die bedrückende Situation schreibt Heckel im Juli 1941 an Lyonel Feininger: „Hier ist grosse Einsamkeit. Oft ist es schwer nicht zu erstarren und den Sinn nicht im Sinnlosen versinken zu lassen.“ Heckel bleibt in Berlin, fährt im Sommer nach Osterholz, wo er nebenbei eine kleine Landwirtschaft betreibt, und versucht so seinen Lebens- und Arbeitsrhythmus aufrecht zu erhalten. Als jedoch seine Berliner Atelierwohnung im Januar 1944 durch einen Bombentreffen zerstört wird und dabei auch sämtliche darin noch befindlichen Bilder, Skulpturen und Druckstöcke verloren gehen, steht Heckel vor der Entscheidung die Hauptstadt zu verlassen. Gemeinsam mit seiner Frau Siddi macht er sich auf die Suche nach einer neuen Bleibe, zunächst bei Bekannten in Schwäbisch Gmünd, dann in Überlingen. Beides ohne Erfolg.
Bild 9: „Am Untersee“, 1945
Dass der Untersee schließlich Heckels Lebensmittelpunkt werden sollte, verdankt sich der tatkräftigen Unterstützung von Walter Kaesbach, der dem Künstlerpaar im ländlich-bäuerlichen Hemmenhofen im Mai 1944 eine erste Unterkunft im Sommerhaus einer Architektenfamilie aus Ravensburg vermittelte. Dort lebte und arbeitete Heckel bis in die 50er Jahre Tür an Tür mit dem aus Düsseldorf geflüchteten Bildhauer Hans Kindermann und dessen Familie, die Kaesbach ebenfalls in dem direkt am Seeufer gelegenen Haus einquartiert hatte. Die Verhältnisse waren schwierig: die Räumlichkeiten beengt, im Winter kaum oder gar nicht zu heizen – eine Idylle war es nicht.
Und dennoch: An der Peripherie des deutschen Reiches bot die Höri für die von überall her zugezogenen Kunstschaffenden einen Rückzugs- und Zufluchtsort. Und Heckel gehörte fortan neben Künstlern wie Max Ackermann, Otto Dix, Walter Herzger, Jean Paul Schmitz oder Curth Georg Becker zu den sog. Höri-Malern: allesamt als „Entartete“ durch die Nationalsozialisten und den Krieg aus ihren Ateliers, ihren Ämtern und angestammten Wohnorten vertrieben, hatten diese Künstler auf der Halbinsel am Untersee einen Überlebensraum gefunden. Von einer Künstlerkolonie darf keineswegs gesprochen werden. Es war der äußere, politische Druck und nicht ein gemeinsames Ziel, das die höchst unterschiedlichen Charaktere, Temperamente und Generationen zu einem temporären Schicksalskreis verband. „Man soll ja kein Worpswede aus der Gegend machen. Wir, die wir da unten wohnen, sind alle Einzelgänger“, erklärte der Maler Ferdinand Macketanz noch 1960. Freundschaftliche Kontakte pflegte der ansonsten eher zurückgezogen lebende Heckel vor allem zu Walter Kaesbach, Hans Kindermann sowie Walter Herzger und dessen Frau Gertraud Herzger von Harlessem.
Über seine Lebenssituation berichtete Heckel im November 1945 an den Sammler Klaus Gebhard: „Hier ist das Leben durchaus erträglich und wir hoffen im Sommerhaus bleiben zu können, solange sich nicht eine Bleibe auf Dauer bietet, sei es hier in der Gegend oder, was unwahrscheinlich ist, in Norddeutschland.“ Es waren also pragmatische Gründe, die Heckel zum bleiben bewegen, zumal die Versorgungslage in der ländlichen Gegend um einiges besser ist als in den kriegszerstörten Städten.
Bild 10: „Zwei Frauen am Strand“, 1946
Einen herben Schlag muß Heckel verkraften, als er kurz nach Kriegsende die Nachricht erhält, daß sämtliche Werke, die er zum Schutz im Salzbergwerk Neustassfurt eingelagert hatte, durch Brandstiftung vernichtet wurden. Das betrifft über 200 Werke, vor allem aus der frühen Schaffenszeit in Dresden und Berlin und reißt eine große Lücke in sein bisheriges Werk.
Unter dem Eindruck dieses Verlustes beginnt Heckel, einige der zerstörten oder verschollenen Bilder neu entstehen zu lassen. Zu diesen wiedergemalten Bildern zählt das Werk „Zwei Frauen am Strand“ von 1946, das auf ein verschollenes Gemälde von 1936 zurückgeht. Für Heckel dient diese ungewöhnliche Beschäftigung mit zerstörten Bildern, die er noch im Kopf hatte, von denen noch Vorstudien oder gar Fotos existierten, ganz konkret einem Wiederanknüpfen an seine Malerei vor dem Krieg.
Bild 11: „Bodenseelandschaft mit Badenden“, 1946
Fernab seines früheren Lebens in der Kunstmetropole Berlin arrangierte sich Heckel am Bodensee mit der neuen Situation und widmete sich dem, was er täglich vor Augen hatte. So wird die Landschaft am Untersee, auf der Höri, im nahegelegenen Hegau und im Schwarzwald ein bestimmendes Sujet seiner Kunst. In Gemälden wie der „Bodenseelandschaft mit Badenden“ griff Heckel 1946 frühere zentrale Bildthemen auf, etwa die legendären Badeszenen der Brücke-Maler an den Moritzburger Teichen bei Dresden und belebte diese neu. Auch scheinen jene heiteren, von Licht und Farbe durchströmten Bildfindungen eine Erinnerung zu sein, an seine einstigen unbeschwerten Sommeraufenthalte am Strand der Flensburger Förde bei Osterholz.
Bild 12: „Seeufer“, 1948 (Zeppelin-Museum, Ausstellung!)
Zu den charakteristischen Badeszenen vom Untersee gehört auch das Gemälde „Seeufer“ von 1948, das sich in der Sammlung des Zeppelin-Museums befindet. Aus der unmittelbaren Beobachtung gewonnen, unternimmt Heckel darin eine reizvolle Verklammerung von Ufervegetation, menschlicher Figur und Wasserfläche.
Auf den Wechsel von Berlin in den Süden angesprochen, äußerte sich Heckel gegenüber dem Dichter Werner Dürrson 1964: „In Berlin fand sich zu unserer Zeit eine Arbeitsatmosphäre, die ja hier nicht ist. Hier sind weit mehr Energien aufzuwenden. Ach nein, es lässt sich einfach nichts vergleichen, es ist im Grunde genommen keine Zäsur, es sind andere Bedingungen mit denen ich fertig werden muß, die aber nicht grundsätzlich andere Ergebnisse sein müssen. Und das veränderte Motiv an sich verlangt nicht in jedem Fall ein verändertes Arbeiten“.
Bild 13: „Mauer am See“, 1947 (Aquarell, NL)
So knüpfte Heckel in seiner Formensprache und Ausdrucksweise an das einstmals Erreichte an, auch wenn die Bilder nun insgesamt abgeklärter, beruhigter und zurückhaltender wirken. Immer ist er nahe am Motiv und vertraut auf die Kraft der direkten Auseinandersetzung mit der sichtbaren Wirklichkeit. Das gilt vor allem für die zahlreichen Aquarelle, die in den Folgejahren am Bodensee entstehen, wie etwa das Blatt „Mauer am See“ von 1947. Darin verdichtete Heckel die Uferszene bei Hemmenhofen im knappen Ausschnitt spannungsreich zu einer lebendigen Dynamik und Rhythmik der reduzierten Formen und transparenten Farben.
Bild 14: „Winter am See“, 1949 (Aquarell)
Stärker als die Gemälde bleiben die Aquarelle von einer aufgelockerten Pinselschrift geprägt. Der Landschaft am Untersee widmete sich Heckel nun zu allen Jahreszeiten: im Blatt „Winter am See“ fing er 1949 mit feinsinnigem Gespür für die Atmosphäre der Landschaft das besondere Licht eines fahlen Wintertages auf der Höri ein.
Bild 15: „Deutsche Kunst unserer Zeit“, 1945 (Titelholzschnitt)
Durch sein Wirken am Bodensee ist Heckel Teil des geistig-kulturellen Neubeginns im deutschen Südwesten der Nachkriegszeit. Einen ersten Höhepunkt dieses Aufbruchs nach dem dunklen Kapitel von NS-Herrschaft und Weltkrieg bedeutete die Ausstellung „Deutsche Kunst unserer Zeit“, in der – von Walter Kaesbach im Auftrag der französischen Militärregierung organisiert – im Oktober und November 1945 in Überlingen erstmalig nach Ende des Krieges in Deutschland wieder Werke der verfemten Künstler der „Brücke“, des „Blauen Reiter“, der Rheinischen Expressionisten, des „Bauhauses“ und von Einzelgängern wie Nolde, Beckmann oder Barlach öffentlich zu sehen waren. Für diese aus heutiger Sicht epochale Ausstellung schuf Heckel das Titelmotiv, das auf Plakaten und dem Katalogumschlag für die Schau warb. Für das Überleben der Moderne und das Klima des Neuanfangs fand Heckel mit seinem weiten Landschaftsblick über den See eine symbolisch treffende Formel: über der aufgewühlten Wasserfläche zieht ein Gewitter ab und ein Regenbogen kündigt die neue Zeit der Hoffnung, der Freiheit und des Friedens an. Markant und kraftvoll ist diese Botschaft in der Technik des Holzschnittes zum Ausdruck gebracht.
Bild 16: „Mann mit Baskenmütze“, 1948 (Litho)
Eine weitere wichtige Plattform für die Moderne in der Nachkriegszeit im Umkreis der Bodenseeregion bot die 1946 von dem kunstbegeisterten Arzt Lovis Gremliza in Schwenningen gegründete „Lovis-Presse“. Für viele Künstler eröffnete sich in dieser professionell geführten Druckwerkstatt zum ersten Mal nach dem Krieg die Möglichkeit, Druckgraphik in hoher Qualität und größerer Auflage herzustellen. Auch Heckel nutzte in den Jahren 1947/48 mehrfach die Lovis-Presse für Abzüge seiner Lithographien in größerer Stückzahl. Zusammen mit der 1948 in Schwenningen gezeigten ersten Einzelausstellung Heckels nach dem Krieg trugen die Editionen der Lovis-Presse ganz wesentlich zu seiner Bekanntheit in der Bodenseeregion bei.
Bild 17: „Birnen“, 1948 (Farbholzschnitt)
Besonders die Druckgraphik erlebte bei Heckel neben der Malerei nun eine neue Blüte. Mit experimenteller Gestaltungsfreude entlockte er den Medien von Holzschnitt, Lithographie und Radierung frische Ausdruckskräfte und machte diese Bildtechniken, wie schon in den Jahren vor dem Weltkrieg, wieder zu einem unverzichtbaren Bestandteil seiner Kunst. Mit herausragenden Arbeiten wie den Farbholzschnitten „Birnen“ oder
Bild 18: „Am Seeufer“, 1953 (Farbholzschnitt)
gelingen ihm bedeutende Arbeiten moderner, expressiver Druckgraphik in der deutschen Kunstgeschichte nach 1945. Dabei bleibt Heckel seiner individuellen Stilsprache verbunden und orientiert sich an der Dingwelt der persönlichen Umgebung. Flächige Vereinfachungen der Formen, subtile Steigerungen der Farbe, ein sicheres Gespür für die strukturellen Eigenschaften des Motivs und ein souveräner Umgang mit dem Material prägen das druckgraphische Wirken der späten Jahre.
Bild 19: „Seeufer“, 1948 (Litho)
Für seine ersten Lithographien nach dem Krieg benutzt der Künstler, der materiellen Not der Zeit gehorchend, Bruchstücke von Gehwegplatten als Drucksteine, wodurch sich die ungewöhnlichen Formate und Umrisse der Darstellungen erklären. Dabei passte Heckel seine Kompositionen geradezu virtuos in die schwierigen Konturformen ein, wie sich in der Lithographie „Seeufer“ von 1948 beobachten lässt, die das Motiv des gleichnamigen Gemäldes wieder aufnimmt.
Bild 20: „Selbstbildnis“, 1949 (im Karlsruher Atelier)
Einen Höhepunkt in Heckels künstlerischer Laufbahn der Bodenseejahre bedeutete 1949 die Berufung als Professor an die Karlsruher Kunstakademie. Als Protagonist, ja als Vaterfigur der expressionistischen Generation sollte Heckel die Errungenschaften der klassischen Moderne an die jungen Kunstschaffenden weiter tragen. Auch verstand sich die Professur als eine Art Wiedergutmachung für die Diffamierung durch das NS-Regime. Sein Schüler Klaus Arnold erinnerte sich: „Er sah es als ethische Verpflichtung gegenüber der Kunst, der jungen Generation wieder den Anschluss zu vermitteln, sie zu den Wurzeln der Kunst des 20. Jahrhunderts zu führen, die ihnen von der Diktatur des Dritten Reiches grausam verwehrt worden war.“ Bis 1955 wirkte Heckel in Karlsruher und nutzte dort auch eine Atelierwohnung. Als Lehrer setzte er sich besonders für seine Schüler ein und kümmerte sich um Aufträge für Glasfenster und Wandbilder, um dadurch ihr finanzielles Auskommen zu sichern. Aufgrund von internen Spannungen verließ Heckel 1955 enttäuscht die Akademie. Sein Nachfolger wurde HAP Grieshaber.
Bild 21: Heckel am Seeufer, 1948 (Foto)
Mit dem Bezug des eigenen, neuerbauten Hauses in Hemmenhofen etablierte sich Heckel dann 1955 endgültig auf der Höri. Im Kunstgeschehen seiner Zeit genießt er nun hohes Ansehen: immer wieder kommen Kunsthistoriker und befragen ihn zu seinem Schaffen, vorrangig zu den frühen Jahren der „Brücke“. Zum 70. Geburtstag finden 1953 große Ausstellungen in Berlin, Essen, Hannover, Karlsruhe und Münster statt; der 80. Geburtstag wird mit umfangreichen Werkschauen in Berlin, Essen, Hamburg und München gewürdigt. Diese Ausstellungen werden von Hemmenhofen aus mit zahlreichen Leihgaben bestückt.
Auch für seine engsten Künstlerfreunde machte sich Heckel zu dieser Zeit stark. So vermittelte er dem aus Leipzig stammenden und ab 1946 auf der Höri lebenden Walter Herzger 1958 eine Berufung als Professor an der Karlsruher Akademie. Durch Heckels Fürsprache wurde auch Hans Kindermann 1957 als Professor nach Karlsruhe berufen und leitete dort bis 1977 die Bildhauerklasse. Mit Mitgliedschaften in Ausstellungs-Jurys, als Mitbegründer der „Badischen Sezession“ 1946, als Vorstandsmitglied des 1950 wieder gegründeten „Deutschen Künstlerbundes“ und als Gründungsmitglied des „Künstlerbundes Baden-Württemberg“ 1955 engagierte sich Heckel für die Pflege der Kunst im Nachkriegsdeutschland und übernahm Verantwortung.
Bild 22: „Der Gletscher“, 1955
Einen Gegenpol zur Landschaft am See fand Heckel in den 50er und 60er Jahren bei Reisen in die Berge. Mehrere Aufenthalte führten ihn bis 1965 bevorzugt in die Graubündner Alpen des Oberengadin. Vor Ort erwanderte sich Heckel seine Motive, die er dann in Zeichnungen fixierte. Die farbliche Ausarbeitung als Aquarell und die Anfertigung von Gemälden auf Leinwand geschah erst nachträglich im Atelier.
Heckels Faszination für die archaische Ausdruckskraft und elementare Ursprünglichkeit der rauhen Bergwelt vermitteln sich in großen Landschaftspanoramen wie dem Gemälde „Der Gletscher“ von 1955: dargestellt ist die imposante Kulisse des Morteratsch-Gletschers am Bernina-Pass. Gerade in den Bildern vom Hochgebirge wird offenkundig, wie sehr Heckel die Vielgestaltigkeit, den formalen Reichtum einer Landschaft bei unterschiedlichen Licht- und Wetterbedingungen schätzte. Seine herbe Bildsprache vermittelt dabei keine romantisierende Bergidylle, vielmehr schildert er uns die alpine Szenerie als einen urtümlichen, von gewaltigen Kräften durchformten Naturraum.
Bild 23: „Am Meer“, 1957
Nicht nur ins Gebirge, auch an die Küsten von Nord- und Ostsee führten Heckels Reisen in den 50er und 60er Jahren. 1949 nahm er seine regelmäßigen Aufenthalte auf Sylt wieder auf, das schon seit den frühen 20er Jahren ein bevorzugtes Ziel war. Szenen wie „Am Meer“, das 1957 die besondere Atmosphäre am Strand der Nordseeinsel einfängt, sind durchdrungen von einer lyrischen Gestimmtheit und verhaltenen Innerlichkeit – Faktoren, die viele späte Landschaften auszeichnen. In solchen, auf das Wesentliche reduzierten Arbeiten erweist sich, daß Heckel nicht bloße Situationsbeschreibungen liefert, sondern aus der starken emotionalen Anteilnahme am Gesehenen und Erlebten schafft, so daß die Werke bis zuletzt ihre große Ausdruckskraft aus der gesteigerten inneren Empfindung und geistigen Einfühlung des Malers in das Motiv schöpfen.
Bild 24: „Zirkus im Freien“, 1954
Wie schon in frühen Schaffensjahren in Dresden und Berlin zog es Heckel auch am Bodensee immer wieder in Zirkusvorstellungen. Er begeisterte sich für die von Alltag und Konventionen losgelöste Erfahrungswelt der Artisten und Clowns. Das Gemälde „Zirkus im Freien“ geht auf den Besuch eines Dorfzirkus zurück, der 1954 auf der Höri Station machte. Anstelle der explosiven Dynamik früherer Zirkusbilder bestimmt nun die Statik kompakter Farbflächen das Geschehen. Fast könnte man sich an eine traumartige Vision der nächtlichen Szene erinnert fühlen.
Bild 25: „Dorf am See“, 1959
Ruhe und gespannte Stille sprechen ebenso aus den späten Landschaftsbildern wie beispielsweise dem Gemälde „Dorf am See“, das 1959 den Blick von Heckels Atelier auf die Kirche in Hemmenhofen und den Untersee einfängt. Subtil ausgewogene Farbakkorde und ein klarer, strenger Bildaufbau prägen die Wirkung dieser Arbeiten, die von einer starken inneren Konzentration auf das Geschaute künden.
Bild 26: „Uferweg“, 1951
Eine geradezu arkadische, zeitentrückte Stimmung beschwört Heckel in dem Gemälde „Uferweg“ von 1951. Die Natur am See wird zur bühnenartigen, feierlichen Kulisse für Heckels Idealvorstellung einer harmonischen Einheit von Mensch und Landschaft. Ebenso klingt in dem Gemälde das Motiv des Freundschaftsgespräches an, das in Heckels Werk seit den frühen 20er Jahren immer wieder Thema ist. So wird im Uferweg die Landschaft zum Resonanzraum für den geistigen Austausch der Personen.
Bild 27: „Meer im Herbst“, 1961
Ähnliches gilt für Darstellungen wie „Meer im Herbst“, das 1961 im Zuge einer Reise an die holländische Küste entstand. Angesichts der Größe und Erhabenheit der Natur reduziert sich die Gestalt des Menschen zum stilisierten Zeichen. Die Landschaft gewinnt die Aura eines transzendenten Licht-Klangraumes. Der Blick auf den abendlichen Strand wandelt sich zur Innensicht des Malers. Eine stille Melancholie wohnt diesen letzten Gemälden Heckels inne. Es offenbart sich eine ganzheitliche Auffassung und geistige Durchdringung des Gesehenen. Wie in der Berglandschaften beschwört Heckel in den Meeresbildern die zeitlose Macht und elementare Schönheit der Natur.
Bild 28: „Bildnis“, 1965 (Holzschnitt)
Während Heckel die Malerei 1963 aus Altersgründen aufgab, schuf er weiterhin druckgraphische Arbeiten, so etwa das 1965 entstandene „Selbstbildnis“: uns begegnet der nachdenkliche 82jährige Künstler in der von ihm zeitlebens so geschätzten Technik des Holzschnittes vor dem Hintergrund der verschneiten Höri-Landschaft.
Bild 29: Heckel beim Arbeiten am Lithostein in der Erker-Galerie, St. Gallen, 1963 (Foto)
Erich Heckel hat das künstlerische Profil der Bodenseelandschaft entscheidend mitgeprägt und sein Schaffen am See ist ein bedeutendes Kapitel moderner Kunstgeschichte des 20. Jahrhunderts im deutschen Südwesten.
Nur ungern äußerte sich Heckel zu seiner Person und seinem Schaffen. Aus dem Kunstbetrieb hielt er sich weitgehend heraus und entzog sich den Blicken von Bewunderern und Neugierigen. Als Person trat er fast gänzlich hinter sein Werk zurück. In seinen Landschaften, Bildnissen und Stilleben offenbart sich ein feinsinniger, zurückgenommener Charakter. Dem vorherrschenden Zeitgeist der Abstraktion setzte Heckel in den 50er und 60er Jahren ein konsequentes Festhalten am Gegenständlich-Expressiven entgegen. Er blieb sich treu und vertraute in seinen Bildschöpfungen bis zuletzt auf die formbildende Kraft des unmittelbaren Seherlebnisses und der intensiven geistigen Einfühlung in das Gegenüber. (Zitat) „Es ist ja immer so, daß ich eine Idealheimat habe und Stücke davon hier und da finde“, ließ Erich Heckel schon 1913 Walter Kaesbach wissen. Am Bodensee hatte er gewiss eine solche Idealheimat gefunden.
© Dr. Andreas Gabelmann, Kunsthistoriker, Radolfzell
Vortrag anlässlich der Mitgliederversammlung des Kunstvereins Singen am 26. März 2019. Foto „Erich Heckel beim Zeichnen in Hemmenhofen, 50er Jahre “ aus dem Nachlass Erich Heckel, Hemmenhofen.